Unter dem Begriff Jugendhilfe werden in Deutschland all die Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und Familien zusammengefasst, die freie und öffentliche Träger im Rahmen der geltenden Gesetze und Vorschriften anbieten. Die Bezeichnung Jugendwohlfahrt ist zwischenzeitlich überholt, das ursprüngliche Jugendwohlfahrtsgesetz wurde bereits in den 1990/91 reformiert.
Die Begriffserklärung: Kinder- und Jugendhilfe
Allgemein wird unter Kinder- und Jugendhilfe die öffentliche Fürsorge für junge Menschen verstanden. Die Adressaten sind jedoch vielfältig, dabei kann es sich sowohl um Kinder und Jugendliche als auch um junge Erwachsene handeln. Im Fokus stehen also Menschen bis zu einem Alter von 27 Jahren – insbesondere gefährdete Jugendliche. Doch die Maßnahmen richten sich auch an Erziehende sowie Personensorgeberechtigte, die Unterstützung benötigen.
Der gesetzliche Rahmen für die Kinder- und Jugendhilfe
Schon Ende der 80er Jahre stieß Rita Süssmuth, die damalige Bundesministerin für Familie und Jugend, die Neufassung des Jugendwohlfahrtsgesetzes an. Dieses war vom Grundsatz her in erster Linie aus Sicht des Polizei- und Ordnungsrechtes aufgesetzt und konnte demzufolge der Aufgabe, Kinder und Jugendliche in der Entwicklung zu fördern und zu erziehen, gar nicht gerecht werden. Der Ansatz der praktischen Jugendhilfe verschob sich sukzessive weg von Sanktionen und Eingriffen in das familiäre Zusammenleben hin zur offenen Prävention.
Dieser Veränderung musste sich in den gesetzlichen Rahmenbedingungen niederschlagen, das Jugendwohlfahrtsgesetz wurde im Zuge der Reform der Kinder- und Jugendhilfe 1990/91 durch entsprechende Regelungen im Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) abgelöst. Damit übernahm der Gesetzgeber nicht nur sein Recht zur Regelung, sondern auch seine Verantwortung für die jungen Generationen wahr. Gleichzeitig überlässt er aber auch den Ländern Gestaltungsspielraum: Im SGB VIII wird ein verbindlicher Rahmen abgesteckt, der in den Landesausführungsgesetzen ausgefüllt wird. Für die praktische Umsetzung sind nach § 85 SGB VIII die jeweiligen Träger der Kinder- und Jugendhilfe verantwortlich.
Das neue Paradigma in der Kinder- und Jugendhilfe
Die heute im SGB VIII verankerte Kinder- und Jugendhilfe versteht sich als Angebote- und Leistungsgesetz. In erster Linie wird also mit Hilfsangeboten gearbeitet und mit den Möglichkeiten der Sozialgesetzgebung unterstützt. Die in Frage kommenden und gesetzlich beschriebenen Leistungen stehen bundeseinheitlich allen jungen Menschen sowie deren Familien oder Personensorgeberechtigten zur Verfügung. Als örtliche und überortliche Träger fungieren die kreisfreien Städte, die Landkreise und das Bundesland. Die jeweiligen Landesjugendämter sowie Jugendämter stellen das Erbringen der relevanten Leistungen sicher.
Die Neuregelungen der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII, das seit der Reform 1990/91 bereits 40-mal überarbeitet wurde, bezogen sich auf folgende Gebiete:
- das Schwangeren- und Familienrecht wurde neugestaltet
- weitere Gesetze wie das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG), das Kinderförderungsgesetz (KiföG) und das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) wurden erlassen
Die Jugendämter – ein kurzer Abriss
Das Jugendamt ist keine Erfindung unserer Zeit, diese Institution blickt bereits auf eine fast 100-jährige Geschichte zurück: Ursprung war das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG), das 1922 in Kraft trat und Kommunen zur Einrichtung von Jugendämtern verpflichtete.
Die Nazizeit markiert ein dunkles Kapitel in der Kinder- und Jugendhilfe, es wurden insbesondere die Bürgermeister und Landräte mit der Leitung der Jugendämter betraut, die im Sinne der Nazi-Diktatur agierten. Das Ausmaß der ideologischen Beeinflussung der Kinder- und Jugendhilfe manifestierte sich im Bund Deutscher Mädel und in der Hitlerjugend, deren Mitgliedschaft obligatorisch war. Allerdings mussten die Kinder und Jugendlichen eine Aufnahme bestehen, Schwache und Kranke sowie Mitglieder der jüdischen Glaubensgemeinschaft wurden rigoros aussortiert, um eine besondere Art von Partei- und Staatsjugend zu formen.
In der Zeit von 1947 bis 1953 waren die Jugendämter dem Innenministerium zugeordnet, erst danach wurde das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz erneut eingeführt und die Kommunen erhielten die Ämter wieder in ihre Selbstverwaltung übertragen. Gleichzeitig wurden die Jugendamtsverwaltung sowie der Jugendhilfeausschuss eingerichtet. Erst 1961 erfolgte dann die Umbezeichnung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in Jugendwohlfahrtsgesetz.
Mit der Reform der Kinder- und Jugendhilfe ab 1990 wurde erneut ein wichtiger Wandel initiiert: Das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Rahmen des SGB VIII wurde zur Grundlage dafür, dass das Jugendamt sich zu einer dienstleistungsorientierten Institution mit dem Grundprinzip, Hilfe zur Selbsthilfe geben zu wollen, entwickeln konnte. Darüber hinaus rückte der Schutz von Kindern und Jugendlichen ebenso in den Fokus wie der Ausbau eines Angebotes zur Kindergartenbetreuung.
Die Zielgruppen der Kinder- und Jugendhilfe
Die Adressaten der novellierten Kinder- und Jugendhilfe sind im § 6 Abs. 1 SGB VII festgelegt: Kinder und Jugendliche, deren Eltern und die Personensorgeberechtigten der jungen Menschen. Darüber hinaus wurden im § 7 SGB VIII verschiedene Begriffe klar definiert:
- Als Kinder gelten unter 14-Jährige, allerdings gilt in Bezug auf das Sorgerecht der Eltern nach Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes und auf die Annahme eines Kindes die Altersgrenze von 18 Jahren.
- Jugendliche sind demnach 14- bis unter 18-Jährige.
- Junge Volljähre sind wenigstens 18 und weniger als 27 Jahre alt.
- Als junge Menschen gelten generell unter 27-Jährige.
- Wem die Personensorge nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) allein oder gemeinsam mit einer weiteren Person zusteht, gilt als Personensorgeberechtigter.
- Als Erziehungsberechtigte gelten neben den Personensorgeberechtigten alle Personen über 18 Jahre, sofern sie vereinbarungsgemäß nicht nur für einzelne Verrichtungen oder vorübergehend die Personenvorsorge wahrnehmen.
Die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe
Die Familienpolitik ist eine der tragenden Säulen der sozialgesetzlichen Gestaltung unserer Gesellschaft – und damit folgt die Bundesrepublik einer langen Tradition. Sowohl während des Kaiserreiches als auch in der Nazi-Zeit spielte das Ideal einer intakten Familie eine wichtige Rolle. Heute tragen die gesetzlichen Regelungen den veränderten Wertevorstellungen Rechnung. Die gesetzlichen Ziele der Kinder- und Jugendhilfe sind ausführlich im § 1 SGB VIII beschrieben: In erster Linie geht es darum, ein grundlegendes Recht der Kinder und Jugendlichen auf Selbstverwirklichung zu schützen, sie in ihren Möglichkeiten zu fördern und bei der Entwicklung eines verantwortungsvollen und gemeinschaftsfähigen Verhaltens zu unterstützen.
Der Artikel 6 des Grundgesetzes ist hier ganz klar:
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Somit teilen sich die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland in folgende Bereiche auf:
- allgemein fördernde Leistungen wie Kindergärten, Jugendarbeit, Lernhilfen oder individuelle Förderung
- direkt unterstützende Aufgaben wie die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in konkreten Problemlagen
- Einzelbetreuung
- Beratungen zum Jugendschutz
- Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen
- politische Arbeit wie Verpflichtung zur Planung oder Einmischung
Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe
Zur Umsetzung der Aufgaben werden Leistungen zur Kinder- und Jugendhilfe von örtlichen sowie überortlichen Trägern angeboten und finanziert. Dazu zählen beispielsweise:
- Jugend- und Jugendsozialarbeit
- erzieherischer Schutz von Kindern und Jugendlichen
- Förderung von Familien
- Registerauskunft für Mütter
- Herausnahme von Kindern und Jugendlichen
- Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen
- Hilfen bei der Erziehung
- Tagesbetreuung für Kinder
- Vormundschaft
- Beistandschaft
- Unterstützung für junge Volljährige
- Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte im Kinder- und Jugendalter
- Durchführung von Beurkundungen wie Vaterschaftsanerkennungen
Darüber hinaus umfasst die Kinder- und Jugendhilfe jedoch weitere Aufgaben, wie zum Beispiel die Beratung und Begleitung von Alleinerziehenden, sollten diese Unterhaltsansprüche geltend machen müssen. Auch die Mitwirkung bei Verfahren vor Familiengerichten oder die Jugendgerichtshilfe zählen zu den regelmäßigen Leistungen.
Die Besonderheiten der Kinder- und Jugendhilfe bei jungen Volljährigen
Seit dem 1. Januar 1975 gilt nicht mehr die Altersgrenze von 21 Jahren für die Volljährigkeit, sondern bereits die Vollendung des 18. Lebensjahres. Das 1977 neugefasste Jugendwohlfahrtsgesetz trug dieser Änderung bereits Rechnung, sodass es die Zulässigkeit bestimmter Hilfsmaßnahmen bei der Erziehung auch über diese Altersgrenze hinaus ausdehnte. Allerdings konnten diese Hilfen nicht erstmals bewilligt werden, sollte die Volljährigkeit bereits eingetreten sein. Jungen Volljährigen standen diese Leistungen also nur zu, wenn sie bereits vor ihrem 18. Geburtstag begonnen und über die Altersgrenze hinaus fortgeführt wurden. Zu dieser Zeit wurde klar, dass ein relevanter Teil der Jugendlichen nicht ohne Weiteres die drei jetzt fehlenden Jahre zur Volljährigkeit überspringen und das Ziel der Selbstständigkeit erreichen konnte.
Dementsprechend sah der Entwurf des Jugendhilfegesetzes im § 40 eine deutlich weitere Fassung vor: Junge Volljährige, die ihre Berufsausbildung erst nach ihrem 18. Geburtstag beginnen oder danach den Verlust des Ausbildungsplatzes hinnehmen müssen und somit in ihrer weiteren Entwicklung gefährdet sind, können weiterhin auf eine Leistungsverpflichtung der Kinder- und Jugendhilfe bauen. Es hatte sich herausgestellt, dass die Altersgrenze von 18 Jahren für die Aufnahme von Maßnahmen zur Schul- oder beruflichen Bildung, wozu auch die Berufsvorbereitung zählt, nicht zielführend ist. Die Verselbständigung der jungen Menschen verschiebt sich offenbar immer weiter nach hinten, wobei die Gründe vielfältig sind.
Deswegen sollten sich die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe auch über die Vollendung des 21. Lebensjahres fortführen lassen. Als relevante Voraussetzungen wurden zum Beispiel junge Volljährige genannt, die nach ihrem 18. Geburtstag aus der stationären psychiatrischen Behandlung oder aus Maßnahmen des Freiheitsentzuges wie Jugend- oder Freiheitsstrafen und Arrest entsprechend des Strafgesetzbuches oder des Jugendgerichtsgesetzes entlassen werden. Die Betroffenen erfahren somit eine Gleichstellung mit den jungen Menschen, die bis zur Volljährigkeit Kinder- und Jugendhilfe zur Erziehung in Anspruch genommen haben.
Damit unterscheiden sich die gesetzlichen Regelungen des SGB VIII von den vorherigen Regeln des RJWG gleich mehrfach:
1. Jugendhilfe für junge Volljährige wird auch über die Volljährigkeit hinaus gewährt, sie ist also nicht mehr nur als Fortsetzungshilfe aufgesetzt.
2. Grundsätzlich ist die Gewährung von Leistungen unabhängig von einer laufenden Ausbildung.
3. Die rechtliche Verpflichtung ist nicht mehr nur eine Kann-Reglung, sondern eine Soll-Regelung, die einen Rechtsanspruch darstellt.
Doch kann auch mit der Novellierung keine Maßnahme der Jugendhilfe mehr begonnen werden, wenn das 21. Lebensjahr bereits vollendet ist – eine Fortsetzung lässt sich jedoch in begründeten Einzelfällen auch über diese Altersgrenze hinaus erfolgen.
Das Verfahren der Kinder- und Jugendhilfe
Bei der Kinder- und Jugendhilfe handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren nach SGB VIII, SGB X und SGB I – es ist grundsätzlich ein Antrag erforderlich. Unter dem Strich heißt das, dass der Betroffene, also der junge Volljährige oder der Personensorgeberechtigte, eine entsprechend eindeutige Willenserklärung zur Inanspruchnahme der Kinder- und Jugendhilfe abgeben muss. Die Kosten für die Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen werden vom jeweiligen Jugendamt getragen, nachdem der Sachverhalt geprüft wurde.
Grundsätzlich verfolgt die Kinder- und Jugendhilfe das Prinzip, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Der Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, dass Hilfesuchende und Behörde kooperieren und konstruktiv zusammenarbeiten. Der gesamte Hilfeprozess muss mit allen relevanten Entscheidungen im Hilfeplan dokumentiert werden.
Die praktische Durchführung der Kinder- und Jugendhilfe
Die vereinbarten Leistungen zur Kinder- und Jugendhilfe werden größtenteils von freien Trägern realisiert. Die großen Träger erfüllen somit eine wichtige Funktion, sie genießen einen gesetzlich verankerten Status und beeinflussen durchaus die Sozialpolitik auf Bundesebene. Die wichtigsten Vertreter sind beispielsweise
- das Diakonische Werk (DW),
- der Deutsche Caritas-Verband,
- das Deutsche Rote Kreuz (DRK),
- der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV),
- die Arbeiterwohlfahrt (AWO) sowie
- die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).
Das Prinzip der Subsidiarität wirkt sich im Bereiche Jugendhilfe so aus, dass freie Träger gegenüber Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe bevorzugt werden. Entsprechend den fachlichen Voraussetzungen übernehmen die freien Träger die jeweiligen Leistungen, sodass eine vielfältige Trägerlandschaft entsteht, die unterschiedliche Inhalte, Arbeitsformen und Methoden, aber auch Werteorientierungen abbildet.
Im Gegensatz dazu übernehmen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe fast ausschließlich die anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, wie sie im dritten Kapitel SGB VIII aufgeführt werden. Das hat einen guten Grund, denn es geht in erster Linie um hoheitliche Aufgaben, die gesetzlich vorgesehene Ordnungselemente beinhalten. Darüber hinaus trägt die öffentliche Jugendhilfe die Gesamtverantwortung dafür, dass die im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankerten Aufgaben erfüllt werden.